10.02.2017

Jahresempfang 2017 – Feierliche Verabschiedung von Eberhard Vorbrodt

Foto:Robert Bannert
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Foto: Robert Bannert

Am 18. Januar wurde Eberhard Vorbrodt, Gründungsmitglied von Asyl in der Kirche Berlin e.V. und langjähriger Mitarbeiter in der Geschäftsstelle, feierlich aus seinem aktiven Dienst verabschiedet.

Über 35 Jahre lang setzte sich Eberhard Vorbrodt für Geflüchtete ein, veranstaltete Demonstrationen, behandelte in seiner Praxis und erhielt schließlich ein lebenslanges Hausverbot in der Abschiebungshaft in Eisenhüttenstadt.

Ellen Wagner, Vorstandsmitglied bei Asyl in der Kirche, würdigte Eberhard Vorbrodt in ihrer Laudatio:

 

Lieber Eberhard!

Alle haben es gehört, Du hast uns geschrieben, Du willst Dich aus der Arbeit in der Geschäftsstelle von Asyl i. K. zurückziehen. Du und Rückzug? Oder soll ich sagen: Du – und Ruhestand? Kennen wir Dich doch eigentlich nur als jemanden, der eigenwillig und mit hoher Verantwortung sich laut und vernehmlich einmischt, sich für die Schwächsten unter uns, für Flüchtlinge in unserer Stadt, für ein Obdach für die Ärmsten unter uns einsetzt. Deine hohe Sensibilität für die gesellschaftspolitische Entwicklung hat uns immer wieder wach gerüttelt. Deine Herzensangelegenheit war und ist die Asylarbeit. Dieser Arbeit bliebst Du auch dann zugewandt, wenn Krankheit Dich einmal wieder von Heilig-Kreuz physisch fernhielt. Selbst vom Krankenbett aus hast Du noch angerufen und an diese oder jene Angelegenheit mahnend erinnert. Du hattest die Übersicht, Du wusstest doch am besten, was alles zu regeln war und wie das zu bewerkstelligen war.

Verena Mittermaier, die heute leider nicht dabei sein kann und Dich ganz herzlich grüßen lässt, meinte, dass Du für sie immer eine wertvolle Stütze warst und stets in enger Kooperation transparent mit ihr zusammen gearbeitet hast. Dafür möchte sie Dir danken. Sie beschreibt Dich als begnadeten Vernetzer – und wer von uns könnte das nicht unterstreichen? – und hebt hervor, wie sehr Deine Kreativität sie damals beeindruckt hat. In der Rückschau haben wir z. B. Deinen Rundbrief vor Augen, den Du jahrelang herausgegeben hast, wir denken an die sogenannten bunten Blätter, die Du verfasst hast – heute würde man vielleicht von Newsletters reden – und erinnern darüber hinaus daran, dass Du Stadtfahrten und Besichtigungstouren zu besonderen Orten der Flüchtlingsarbeit – wie Flüchtlingsunterkünfte oder das damalige Abschiebegefängnis – organisiert hast, sowie einmal sogar eine Protestfahrt zum Flughafen.

Verena Mittermaier war übrigens die erste, offiziell vom Verein angestellte Geschäftsführerin! Vorher hatte Verena schon bei der Bundesarbeitsgemeinschaft gearbeitet. Und als die BAG nach Heilig Kreuz umgezogen war, wurde Verena auch Geschäftsführerin von Asyl in der Kirche e. V. Das war im Januar 2009. Manche unter uns werden sich jetzt verwundert fragen, was war denn vorher? Wie wurden denn da die Geschäfte gehandhabt? Der Verein wurde doch schon 1993 gegründet, und Asylarbeit in Heilig Kreuz gibt es noch länger!

Die Asylarbeit wurde vor mehr als dreißig Jahren von engagierten, hauptsächlich Evangelischen Gemeinden, damals noch Berlin-West, getragen. Man traf sich bei Jürgen Quandt in der Nostitzstraße. Initialzündung war der Fenstersturz von Kemal Altun, ein türkischer Asylbewerber, der in der Gemeinde Zuflucht gefunden hatte und während seines Abschiebeverfahrens sich aus dem Gerichtssaal am 30. August 1983 in den Tod stürzte. Jahrelang haben wir Gedenkveranstaltungen an seinem Todestag organisiert. Im Zusammenhang mit den großen Friedensdemonstrationen im Oktober 1982 und 1983 haben Eberhard und Traudl von Pax Christi Kontakt zur Asylgruppe in der Nostitzstraße gefunden. In ihrer Frauenarztpraxis boten Beide kostenlose Sprechstunden und Beratung für Flüchtlinge an. Das sind vermutlich die Bausteine für Eberhards und Traudls Engagement in der Flüchtlingsarbeit, Traudl war von Anfang an Mitglied in der Härtefallkommission.

Zusammen mit Jürgen Quandt hat Eberhard dann die Asylarbeit gemanagt. Eberhard erinnert sich noch gut daran, dass Jürgen Quandt zu ihm sagte: “Mach Du das mal“. Jürgen hatte als Gemeindepfarrer den Gemeindehaushalt in der Hand, für die Flüchtlingsarbeit übertrug er Eberhard nach der Wende die Betreuung und Verwaltung der Spenden, zunehmend auch seit Vereinsgründung den Jahresabschluss für den Verein und die Aufstellung des Haushaltsplans. Dabei lief nicht alles reibungslos ab, aber irgendwie ist Eberhard zunehmend in die Rolle eines „inoffiziellen“ Geschäftsführers hineingewachsen. Weder Jürgen noch Eberhard können sich im Detail erinnern. Eberhard hat nie einen Vertrag gehabt, lediglich eine Bescheinigung für medizinische Beratung und Betreuung von Flüchtlingen für ein monatliches Honorar, das er bis Ende des vergangenen Kalenderjahres ausgezahlt bekommen hat.

Ein Mensch, der wachsam und skeptisch in die Welt hineingeht – so sehe ich Dich vor mir – ein Mensch mit einem unnachahmlichen Gespür dafür, was politisch dran ist, ein Mensch, der mit großer Treue und selbstlosem Einsatz unbeirrbar seinen Weg geht, ein Mensch, der leicht ungeduldig werden kann und manches Mal sogar schroff reagiert und schrullige Antworten gibt. Unbeirrbar ist Eberhard seinen Weg gegangen und hat sich stets eine neugierige Offenheit für andere Menschen und Kulturen bewahrt. Immer wieder gelang es ihm, neue Kontakte aufzubauen, die er bis heute pflegt. Als langjährige Wegbegleiterin im Vorstand von Asyl in der Kirche habe ich erfahren dürfen, wie sehr Deine gelebte Mitmenschlichkeit, die sich durchaus auch hinter einer unwirschen Maske verbarg, wie Deine gelebte Mitmenschlichkeit das Gesicht unseres Vereins geprägt hat. Dafür danke ich – dafür danken wir.

Eberhard wird im August dieses Jahres 80 Jahre alt. In Köthen geboren machte er sein 1. Abitur in Sachsen-Anhalt und sein zweites in Westberlin, nachdem er „rübergemacht“ hatte, wie es so plastisch in Ost-West-Sprache hieß. Er studierte an der FU Medizin und lernte Traudl im Studium kennen. Gemeinsam bauten sie eine Frauenarztpraxis auf. Inzwischen sind beide mehr als fünfzig Jahre miteinander verheiratet. Ihre fünf Kinder kamen schnell nacheinander. Anfang der 80 er Jahre bezog die Familie ihr Häuschen in Kladow. Heute sind Eberhard und Traudl stolze Großeltern von neun Enkelkindern. Nach einem schweren Herzinfarkt 1996 hat Eberhard seine Arztpraxis ganz aufgegeben und sich uneingeschränkt seinen Hobbys gewidmet: Der Flüchtlingsarbeit und dem Singen.

Das Singen war Eberhard nicht in die Wiege gelegt. Anstoß gab der katholische Gemeindepfarrer in Kladow. Dieser lud ihn einmal ein, ihn zu den orthodoxen Christen – ehemalige Zwangsarbeiter – im Gemeindezentrum der Mittenwalder Straße in Kreuzberg zu begleiten. Der katholische Priester hatte auch eine Gottesdienst-Lizenz für die Ostkirchen. Hier begegnete Eberhard der orthodoxen Liturgie. Er wurde spontan Mitglied des deutschen Chores mit Migrationshintergrund in der Mittenwalder Straße. Sein musikalisches Talent war aus der Taufe gehoben, sein sonorer Bass II erklang von nun an bei den orthodoxen Gesängen. Eberhard kannte weder Noten, noch hatte er vorher je gesungen. Das notwendige Rüstzeug hat er sich selbst beigebracht. Mit Hochachtung spricht er von seinem heute 82 Jahre alten Chorleiter, der sämtliche slawischen Sprachen spricht, aber auch rumänisch und griechisch, und Eberhard macht darauf aufmerksam, welche Herausforderung das Singen in den verschiedenen Sprachen auch an die Chorsänger stellt. Er kommt ins Schwärmen, wenn er von seinen vielen Begegnungen und Reisen mit seinem Chor berichtet. Noch zu DDR-Zeiten, 1988, wurden sie vom Moskauer Patriarchat eingeladen, sie mussten nur ihr Flugticket bezahlen und haben nicht nur in Moskau, sondern auch in Kiew, Lemberg und Odessa gesungen. Noch heute führen ihn jedes Jahr Chorreisen in die Ukraine, er hat den Balkan bereist und erinnert sich schmunzelnd an eine Reise von vier Chormitgliedern nach Mazedonien, wo ihnen großes Lob etwa folgenden Wortlauts gespendet wurde: Eure Musik war sehr schön, aber die Texte…. Wir sind Muslime. Leider konnte heute niemand von Deinen Chorbrüdern zu unserem Abschiedsfest kommen, doch sie lassen alle herzlich grüßen.

Zum Abschluss möchte ich Dir eine anhaltinische Ballade vortragen, sehr frei nach Ludwig Uhland

 

ZUM Abschied VON EBERHARD VORBRODT

ANHALTINISCHE BALLADE

(Sehr frei nach Ludwig Uhland)

 

Als Eberhard Vorbrodt lobesam

Zum Neujahrs-Empfange neugierig kam,

Da herrschte Staunen rings umher,

Jubel und Freude umso mehr.

Anlaß zur Begeisterung bot

-Bei Sekt und leckerem Partybrot-

Besonders zu feiern dieses Mal

Die Wolken-Abschieds-Jahreszahl:

Familie, Freunde, zusamm‘ heut kamen

Dir, Eberhard Adieu zu sagen!

 

Als Aktivist aus Anhaltiner Land

Mit feinem Geist und strenger Hand

Blickst Du auf ein langes Lebens-Stück

In der Flüchtlingsarbeit nun zurück.

Von guten und von bösen Dingen

Vermagst du manches Lied zu singen.

Vieles kam plötzlich in die Quer

Und störte die Daseinplanung sehr.

Doch hast du nimmer aufgegeben,

Gestaltetest voll Kraft Dein Leben.

 

Und gab es Sinn- und Krankheitskrisen,

Dich, Eberhard, tat‘s nicht verdrießen,

Gingst Deines Weges Schritt vor Schritt:

„Der wackre Köth‘ner fürcht sich nit!!“

Mußtest Du Dich manchmal bücken,

Sah man Dich weise um Dich blicken

Und grübeln, wie man es erreiche,

Die Zahlen zu zwingen mit einem Streiche.

Bald sah man zur Rechten wie zur Linken

Das Problem – erledigt!! – heruntersinken.

 

Und heute kommt die Gästeschar,

Die stets Dir nah‘ geblieben war

Und siehet nun mit gutem Bedacht,

Respektvoll wie Du, Eberhard, alles gemacht.

Man spricht: „Ja, wir sind hochverwundert“,

Du schaffst noch manches Jahr zur Hundert.

Sag an, Du Weiser ehrenwert,

Wer hat solch Altern Dich gelehrt?“

Und er bedenket sich nicht lang:

„Das Singen macht’s und hält mich jung,

Ein stolzes Alter zu erreichen.

Man zählt dies zu den Sängerstreichen!“

 

 

Lieber Eberhard, wir wünschen Dir für Deinen Ruhestand weiterhin die Freude und Kraft zum Singen und die Muße, das Leben zu genießen, Zeit für Deine Großfamilie, Zeit zum Lesen. Wie ich von Dir weiß, reizen Dich politische Theorien und Entwicklungen. Manche Interessen hast Du bis jetzt zurückgestellt. Möge es Dir gelingen, einen erfüllten Lebensabend zu führen. Wir binden unseren Dank in diesen bunten Blumenstrauß und wünschen Dir Gottes Segen.

 

 

Ellen Wagner
Berlin, 18. Januar 2017

 

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