30.08.2020Predigt zum 30.08.2020 – Tag des Kirchenasyls
An dieser Stelle können Sie die Predigt von Pfarrer Bernhard Fricke nachlesen. Diese hat er am gestrigen 30.08.2020 zum bundesweiten Tag des Kirchenasyls in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg gehalten.
Predigt zum Tag des Kirchenasyls
Heilig-Kreuz-Kirche Berlin, 30.08.2020
Pfarrer Bernhard Fricke, Potsdam
Liebe Schwestern und Brüder,
als Getaufte sind wir mit Jesus Christus auf dem Weg und stellen uns die Frage, was wir für die Geschwister tun können, die jetzt gerade auch unterwegs sind, voller Verletzungen und Angst, voller Sehnsucht nach Sicherheit und Freiheit.
Wie können wir solidarisch mit ihnen sein, Widerstand leisten gegen die fortwährende Ungerechtigkeit, gegen das Sterben?
Wie können wir denen gerecht werden, die unabhängig von ihrem Glauben, unsere Brüder und Schwestern sind in den Lagern auf Lesbos und in Libyen, auf der Sea-Watch-4 und der Louise Michel im Mittelmeer, an der Grenze von Mexiko zur USA und in der Wüste, an der Ostgrenze Europas?
Wie können wir mit denen sein, die ums Überleben kämpfen oder mit denen, die hier in unserem Land rassistisch beschimpft oder behandelt werden?
Wenn wir über unsere Verantwortung für das Kirchenasyl und für den Flüchtlingsschutz nachdenken, dann beten wir und bitten Gott um seine Gerechtigkeit und um seine Heilung für die, die nicht mehr weiterwissen, weil sie hin- und hergeschoben werden. Wir legen sie ihm ans Herz.
Einer der nicht mehr weiter wusste in seiner Angst, war der türkische Flüchtling Kemal Altun. In Erinnerung an ihn haben wir den heutigen Tag zum Tag des Kirchenasyls erklärt. In Erinnerung an ihn bekennen wir die Unbarmherzigkeit des Asylsystems in Deutschland bis heute.
Am 30. August 1983 war Kemal Altun 23 Jahre alt. Er stand vor den Richtern im Verwaltungsgericht und musste damit rechnen, in die Türkei ausgeliefert zu werden. Die deutschen Behörden hatten um ein solches Ersuchen förmlich gebeten. Der Ausgang des Verfahrens war mehr als ungewiss. Die Bundesregierung hatte schon viele Flüchtlinge in die Türkei abgeschoben. Aus Verzweiflung nahm sich Kemal Altun an diesem Tag das Leben. Er sprang aus dem 6. Stock des Verwaltungsgerichtes in der Hardenbergstraße 20.
Es gab Unterstützer*innen für Kemal Altun auch in der Kirche. Sie versammelten sich hier in der Heilig-Kreuz-Kirche. Sie bildeten die Basis für Asyl in der Kirche, für Solidarität, für das Leben. Sie setzten sich für Geflüchtete ein.
Die Unterstützung der einzelnen Frau, des einzelnen Mannes, der Familie UND der Widerstand gegen ein ungerechtes System von Asylversagen und Abschiebung gehören seitdem untrennbar zusammen. Das ist unsere Barmherzigkeit.
Ein Richter sieht das normaler Weise anders. Ich sage: normaler Weise, weil es durchaus Richter gibt, die auf der Seite der Menschen stehen und die Würde der Einzelnen sehen.
In diesem Jahr ist Percy MacLean gestorben, er war Richter am Verwaltungsgericht in Berlin. Wir halten ihn in guter Erinnerung. Er sagte: „Schutzbedürftige Menschen sind keine besseren oder schlechteren Menschen, aber sie sind ebenso wie wir Träger von Menschenrechten, Rechtssubjekte, die einen Anspruch auf eine rechtsstaatliche, würdevolle Behandlung haben.“
Wie gut wäre es, wenn sich diese menschliche Haltung durchsetzen würde. Im Moment gibt es 49 Kirchenasyle in Berlin und Brandenburg, auch immer wieder hier in der Gemeinde. In den Kirchenasylen geht es um einzelne Menschen. Aber es geht auch darum, politische Veränderungen und eine andere Haltung in der Asylpolitik einzufordern.
Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden kaum Härtefälle anerkannt. Die Not und die Verletzungen der Geflüchteten zählen wenig. Und Geflüchtete müssen wie vor 37 Jahren immer noch Angst haben, wenn sie vor das Verwaltungsgericht gerufen werden, um Asylgründe zu überprüfen.
Warum ist das so? Jesus nennt im Gleichnis von der bittenden Witwe (Lukas 18, 1 – 8) zwei Gründe: Mangelnde Gottesfurcht und fehlende Menschenscheu. Der Richter sieht nicht Gott. Der Richter sieht nicht die bittende Witwe. Er sieht nicht ihre Not und nicht das Unrecht, das ihr geschehen ist. Er sieht gerade einmal sich selbst. Ihm fehlt der Maßstab für gerechtes Handeln.
Dagegen hilft nur eines. Wir nehmen uns die Witwe zum Vorbild, sie steht für alle, die für ihr Recht kämpfen: Immer weiter beten. Immer lauter schreien, Tag und Nacht. Das ist der Widerstand der Christenmenschen, zu dem uns Jesus ermutigt.
Im Wissen um Gottes Barmherzigkeit, im Vertrauen auf seine rettende Hand, in der Solidarität mit den verletzten Schwestern und Brüdern sollen wir den Richter und die Verwaltungen bedrängen.
So entlarven wir mangelnde Gottesfurcht und fehlende Menschenscheu in den Institutionen. Gleichzeitig bewahren wir die Schutzlosen in ihrer Angst, ermöglichen den Verletzten Heilung und stellen ein System in Frage, dass die Würde der Einzelnen und das Recht des Einzelnen unterordnet unter europäische Verteilmechanismen und einen nationalistischen Sicherheitsgedanken.
Frau Merkel hat in der Pressekonferenz am Freitag gesagt, sie würde wieder so handeln wie vor 5 Jahren und die Grenzen offenhalten, wenn so viele Menschen Schutz suchen. Wir rufen ihr heute zu: Öffnen Sie jetzt die Grenzen für die vielen verletzten Kinder und Alten aus den Lagern, öffnen Sie die Grenzen für die Gefolterten und Vergewaltigten in den libyschen Lagern, öffnen Sie die Grenzen für die aus Seenot geretteten, und bitte warten Sie nicht auf eine Einigung in Europa.
Das Beispiel heute vor 5 Jahren zeigt: Barmherzigkeit ist auch im politischen Raum möglich. Fordern wir sie ein.
Auch wenn es in diesen Tagen so aussieht, als ob die Richter des Bundesverwaltungsgerichtes mit ihrer Einschätzung, dass Menschen im Kirchenasyl nicht flüchtig sind, die fatale Verlängerung des Kirchenasyls auf 18 Monate gestoppt hätten, wir wissen:
Die rückwärtsgewandte und ausschließlich auf Sicherheit orientierte Politik und das Bundesamt werden sich etwas Neues ausdenken, um das Kirchenasyl zu behindern, um uns zu behindern, die wir an der Seite der Bittenden und Suchenden stehen. Das macht müde. Das zehrt an den Kräften.
Aber als Getaufte vertrauen wir gerade in dieser Situation auf Gott, der seinen Auserwählten Recht schafft – und das sind nicht in erster Linie wir, das sind in erster Linie die Bittenden und Suchenden, die zu ihm Tag und Nacht rufen – in der Ferne und auch in der Nähe.
Mit ihnen und für sie beten wir und rufen zu Gott. Schaffe du Recht. Und lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen. Gott behütet Euch. Amen.
Gebet:
Barmherziger Gott, wir vertrauen Dir die schutzlosen und verletzten Menschen an, überall auf der Welt, auch bei uns. Sie beten zu Dir im Wissen um deine Nähe, Junge und Alte, Nahe und Ferne. In deinem Namen dürfen wir ihr Schutz sein, ihre Rettung aus den Lagern, vor dem Ertrinken auf dem Meer und dem Verdursten in der Wüste, ihr sicherer Hafen im Kirchenasyl, ein Ort der Heilung. Lege Du Deinen Segen auf ihre Wege, sei ihre Kraft und sende uns immer wieder auf den Weg der Gerechtigkeit. Amen.
Die Predigt kann auch als PDF heruntergeladen werden: