10.02.2017

Geschichten aus dem Kirchenasyl – Interview mit Pfarrerin Ute Gniewoß aus der Gemeinde Heilig-Kreuz-Passion

Foto: Asyl in der Kirche Berlin e.V.
Foto: Asyl in der Kirche Berlin e.V.

 

Geschichten aus dem Kirchenasyl –
Interview mit Pfarrerin Ute Gniewoß aus der Gemeinde Heilig Kreuz-Passion

Ute Gniewoß ist seit Mai 2016 in der Evangelischen Kirchengemeinde Heilig-Kreuz-Passion als Pfarrerin tätig. Zuvor war sie 24 Jahre lang Pfarrerin in der Kirchengemeinde Velten/Marwitz.

Unsere Freiwillige, Irem Nur Yildiz, hat Ute Gniewoß im Interview gefragt, woher ihre Motivation kommt, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren.

Irem Nur Yildiz: Wie kamen Sie zum ersten Mal in Kontakt mit dem Thema Kirchenasyl?

Pfarrerin Ute Gniewoß; Ich habe 1992  Bilder des Kriegs in Bosnien im Fernsehen gesehen, die ich nicht ausgehalten habe. Darüber habe ich mit Menschen in meiner Gemeinde gesprochen, wodurch es zu einer Aufnahme von sieben bosnischen Flüchtlingen aus zwei Familien im Pfarrhaus kam. Das lief damals nicht als offizielles Kirchenasyl, aber es waren Flüchtlinge, die von der Kirche aufgenommen wurden. Wir haben über vier Jahre zusammen unter einem Dach gelebt. Das war mein erster intensiver Kontakt mit Flüchtlingen. Aus diesen Erfahrungen heraus bin ich wachsam für dieses Thema geworden.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation sich in diesem Bereich zu engagieren?

Theologisch gesehen ist es für mich vollkommen klar, dass Fremde und Flüchtlinge in der Bibel benannt werden als Menschen, die besonderen Schutz brauchen; die nicht unterdrückt werden dürfen und die oft  zusammen mit anderen besonders schutzbedürfigen Menschen genannt werden,  z.B. mit Witwen und Waisen. Auch in unserer heutigen Gesellschaft ist es leider so, dass manche Menschen ihre Rechte nicht einfach wahrnehmen können, sondern sie ihnen oft vorenthalten werden. Dazu gehören auch Flüchtlinge. Und Gott stellt uns an ihre Seite, um ihnen beizustehen.

Das muss noch nicht unbedingt dazu führen, dass man sich für Kirchenasyle engagiert. Ich glaube, was bei mir dazu geführt hat, war einfach, dass ich mich den Erfahrungen von Flüchtlingen ausgesetzt habe, nachgefragt habe, hingehört habe und dann manchmal nicht anderes konnte, als zu überlegen, ob man sie ın ein Kirchenasyl aufnehmen kann.
Ich denke, dass es wirklich dieser Mechanismus ist: wenn man sein Herz öffnet, dann kann es passieren, dass man innerlich genötigt ist von dem eigenen Gewissen und dann nicht anderes kann. Ehrlicherweise würde ich auch sagen, dass am Anfang nicht nur Verantwortungsbewusstsein steht, sondern auch Neugier. Ich fınde einfach Menschen, die aus anderen Ländern kommen, erstmal spannend. Egal aus welchem Land oder aus welcher Situation sie kommen, ich bin neugierig.

Der frühere Bischof Huber hat einmal gesagt, Kirchenasyle helfen dem Rechtsstaat seine Aufgabe wahrzunehmen. Ich würde das auch so sehen. Menschen aus dem Raum der Kirche müssen mit darauf achten, dass Geflüchtete ihr Recht auf Asyl wahrnehmen können und ihre Menschenrechte geachtet werden.

Wie haben Sie Kirchenasyl in Ihrer Gemeinde erlebt?

Ich habe  etwa 15 Kirchenasyle in meiner und anderen Gemeinden mitorganisiert und erlebt. Sie dauerten unterschiedlich lang, zwischen zwei Wochen und neun Monaten. Manchmal lebten die Geflüchteten  mit bei mir im Pfarrhaus, manchmal in anderen Räumen der Gemeinde. Wichtig war immer, dass sich auch Gemeindeglieder engagieren.
Ich erinnere mich ein Kirchenasyl im Jahr 2015, das über 3 Monaten lief. Wir hatten zwei Eritreer in Schutz genommen. Da hat sich eine Gruppe von über 10 Personen aus der Gemeinde eingebracht. Es gab Leute, die die beiden besucht haben, andere haben Deutschunterricht gegeben, wieder andere haben sich um Fragen von Finanzierung oder Behördenkontakt gekümmert.
Es war klar, die Menschen im Kirchenasyl brauchen dringend soziale Kontakte, jeden Tag. Das müssen wir organisieren. Deswegen brauchten wir eine Gruppe und es war toll zu sehen, dass so viele mitgemacht und treu unterstützt haben. 


Bleibt nach Beendigung eines Kirchenasyls noch Kontakt mit den Menschen?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, zu denen habe ich auch nach dem Kirchenasyl noch länger oder sporadisch Kontakt. Generell sehe ich es so: Alle Menschen sind auf ihrem Weg. Und auf ihrem Lebensweg haben sie eine Weile bei uns Station gemacht. Wir haben sie so gut es ging unterstützt. Und dann haben sie ihren eigenen Weg  fortgeführt.

Was für Erfahrungen haben Sie gemacht? Was fällt Ihnen schwer, was war schön?

Die schwierigste Erfahrung ist für mich, dass ich manchmal Angst hatte um diese Menschen. Es spiegelt  die Angst der Flüchtlinge, die einfach nicht wissen, was auf sie zukommt und natürlich auch die Situation, in der sie sich befinden, oft nicht einschätzen können. Sie sind in einem fremden Land, sie wissen nicht was Kirche kann oder nicht kann, was ich kann oder nicht kann. Sie haben Angst. Diese Angst löst bei mir aus „Ich muss das schaffen“. Ich habe mir oft Sorgen gemacht ob ein Kirchenasyl gelingen wird, weil das nicht selbstverständlich ist.  Aber mir persönlich kann ja nicht wirklich etwas Ernsthaftes passieren. Die Flüchtlinge sind in einer schwierigen Lage, aber nicht ich oder wir als Gemeinde. Für uns ist es manchmal anstrengend, aber schwer ist es für die Geflüchteten.

Und es bleiben natürlich auch Erinnerungen. Das sind manchmal sehr kleine Dinge, die im Kopf bleiben. Dazu fällt mir eine Frau aus dem Iran ein, die mir sehr detailliert erzählt hat, wie ihre Wohnung ausgesehen hat. Wie sie ihr Schlafzimmer eingerichtet hatte, mit welchen Farben und was sie schön fand. Sie hat alles für die Flucht verkauft, das Schlafzimmer gibt es nicht mehr. Manchmal machen solche kleinen Schilderungen mir klar, wie viel Menschen zurückgelassen haben.
Oder Schilderungen von Flüchtlingen, die nie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Der Schmerz dieser Menschen ist so groß, dass sie das manchmal selbst noch  nicht richtig realisiert haben. Sie leben immer in die Hoffnung, ihre Eltern, ihre Verwandten wiederzusehen und in manchen Fällen ist diese Hoffnung nicht aussichtsreich. Sie leben unter dem Druck, Angehörigen helfen zu müssen, die ebenfalls in Gefahr sind – und fühlen sich hilflos. Sie erfahren, dass Freunde oder Verwandte umgekommen sind und trauern in der Ferne. Das sind die Erfahrungen die man behält.

Aber natürlich gibt es auch viel Schönes: Es kommen Menschen aus anderen gesellschaftlichen Kontexten zu uns, mit anderen sozialen Kontaktformen, aus anderen Kulturen, mit anderem Humor. Das birgt so viel Potential und auch gute Infragestellungen, denn wir in Deutschland sind ja nicht einfach glückliche Menschen. Was trägt auf der Flucht? Was schenkt  Zuversicht?  Der Kontakt zu Geflüchteten ist für mich immer auch ein Geschenk. Im Kirchenasyl ist dieser Kontakt oft besonders intensiv. Menschen schenken uns ihr Vertrauen und lassen uns an ihrem Leben teilhaben. Ich habe Kirchenasyle auch oft als Glaubensstärkung erlebt, weil wir gemeinsam lernen, mutiger zu werden und Gottvertrauen zu haben. Mit anderen Gemeindegliedern hat man gemeinsame Erfahrungen, die einen verbinden, weil man in dem Moment spürt, dass das, was man gerade tut, sehr wichtig ist, für das Leben anderer Menschen wirklich zählt.

Auch habe ich ein Enkelkind bekommen durch ein Kirchenasyl. Ich hatte ein Frau im Pfarrhaus aufgenommen, die alleine und hochschwanger abgeschoben werden sollte. Sie hatte ihre Eltern verloren, als sie 8 war. Und diese Frau hat von sich aus entschieden, dass sie mich als Mutter adoptiert und als Oma für ihr Kind. Am Tag der Geburt des Babies, hat sie es mir in den Arm gelegt und gesagt: „Go to your grandma.“ Das ist jetzt fast 3 Jahre her, ich habe die Rolle noch immer. Damals habe ich mir gesagt: Ich kann nicht für viele Menschen Mama und Oma sein, aber für ein paar wenige schon. Letztens rief die Kleine quer durch die Kirche „Oma!“. Ich sah, wie einige sich fragten, wie dieses schwarze Kind das Enkelkind dieser weißen Frau sein kann, Schön, wenn Gottes Wege uns schmunzeln lassen.

Ein Ehepaar  im Kirchenasyl hat mich gefragt, wie sie deutsche Eltern finden können. Ich hab erst die Frage nicht verstanden. Ich habe zurückgefragt: „Wofür braucht ihr deutsche Eltern?“ Und sie haben gesagt: „Familie ist wichtig, ganz wichtig. Wir werden unsere Familien wahrscheinlich nicht wieder sehen. Wir wollen ein Kind bekommen und wir möchten dass unser Kind nicht ohne Großeltern aufwachsen muss. Wir brauchen Familie, denn Familie bedeutet, dass man miteinander spricht, dass man sich begleitet, dass man sich einen Rat gibt, dass man zusammen Ausflüge macht, und wir fühlen uns verarmt ohne Eltern. Ich dachte daran, dass ich oft Schilderungen höre, was in einer Familie gerade schwierig oder belastend ist, aber selten einen solchen Lobpreis auf Familie. „Wie können wir deutsche Eltern bekommen?“ Die Frage steht noch im Raum. (Wenn Sie eine Idee haben, liebe Leserin und lieber Leser, melden sie sich gerne.)

Was kann Kirchenasyl in der Gemeinde verändern?

Ich bin vorsichtig beim Beantworten dieser Frage, weil ich befürchte, dass es Gemeinden gibt, in denen sich nicht viel verändert hat. Ich glaube, dass ein Kirchenasyl immer die Menschen verändert, die sich intensiv darauf einlassen. Sie bekommen einfach einen sehr persönlichen Eindruck davon, was die Folgen von Flucht sein können. Klischees und Vorurteile gegenüber Menschen aus einem bestimmten Land werden brüchig oder lösen sich auf. Nicht selten beginnen sie, auch das eigene Leben noch einmal anders zu sehen – oft demütiger und dankbarer.

 

Wer mehr wissen will: In dem Buch „Kirchenasyl eine heilsame Bewegung“ finden sich Beiträge auch von Ute Gniewoß zu der Frage, wie die Beteiligung an Kirchenasylen die Begleitenden verändert. „Kirchenasyl eine heilsame Bewegung“ , F. Dethloff und V. Mittermaier (hg.), Loeper Literaturverlag, Karlsruhe, 2011.

 

Berlin, 31.01.2017

 

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