05.05.2020

Stimmen aus dem Ehrenamt – Marita

„Wir reden ja sonst nicht nur über Schulaufgaben, sondern auch über Persönliches“ 

Marita engagiert sich ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde und ist seit 2015 bei „weltweit – die Freiwilligengruppe von Asyl in der Kirche e.V.“ aktiv.    
Ihre Kirchengemeinde unterstützt seit 2014 Geflüchtete vom Protestcamp O-Platz. Hieraus ist ein Deutschunterricht für diese Gruppe entstanden, bei dem sich Marita seitdem engagiert.
Sie vermisst gerade sehr die persönlichen Begegnungen.   

Kannst Du etwas zu Eurer Gruppe von Engagierten erzählen?   
Seit Bestehen haben sich ca. 120 Menschen ehrenamtlich bei uns engagiert. Die Ehrenamtlichen haben aus den verschiedensten Gründen mit dem Engagement begonnen und einige von ihnen auch wieder aufgehört. Zurzeit sind wir 28 Lehrer*nnen, von denen 12 ganz regelmäßig Deutschunterricht machen. Der Deutschunterricht findet 1 zu 1 statt – das heißt, die Unterstützung ist ganz persönlich und auf die individuellen Lernbedürfnisse abgestimmt. 

Wie wirken sich das Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen auf Euer Engagement und den Deutschunterricht aus?    
Corona hat uns sehr getroffen. Der Unterricht in der Form wie gerade beschrieben ist erst mal weggebrochen. Für die Geflüchteten ist es auch nicht einfach, ist mein Eindruck. Sich nicht mehr zu treffen und sehen zu können ist für alle schwer. Wir reden ja sonst nicht nur über Schulaufgaben, sondern auch über Persönliches, wir erzählen uns Dinge. Das fällt nun weg. 

Wie geht ihr damit um?   
Wir versuchen, dass jede*r Lehrer*in mit ihrer*m Schüler*in telefonisch Kontakt hält. Manche treffen sich auch und gehen mit ausreichend Abstand spazieren. Aber es wohnen ja nicht alle im Kiez. Wir wollen nicht dazu verleiten, dass sich Menschen in Öffentliche Verkehrsmittel setzen. Mit denen, die weiter weg wohnen, telefonieren wir eben.    
Was klasse ist: Eine Schülerin hat 25 Masken genäht. Diese habe ich dann mit der Post an jeden Schüler und jede Schülerin geschickt und per Whatsapp kam dann ein selbstgedrehtes Video mit einer Anleitung.

Nutzt Du auch die Option von Video-Calls?
Mit meiner Enkelin telefoniere ich über WhatsApp über den Videochat. Ich merke aber, viele meiner Lehrer-KollegInnen haben diese Möglichkeit nicht. Entweder, weil sie solch unsichere Dienste wie WhatsApp ablehnen oder kein Smartphone besitzen. Und dann stellt sich natürlich auch die Frage: Wollen die Schüler*innen das überhaupt? Manche wollen vielleicht nicht, dass man sieht, wo sie gerade sind – und das ist ja auch ok. Die größere Schwierigkeit ist aber, dass nicht generell die Voraussetzungen gegeben sind. Einige haben nur eine Prepaid-Karte in ihrem Smartphone und entsprechend nur ein sehr geringes Datenvolumen. In dem Fall ist ein Videoanruf eher keine Option. Hier bin ich gerade viel am überlegen, was sich da machen lässt. Denn die Einschränkungen werden uns sicherlich noch eine Weile begleiten. Und so habe ich das Gefühl, ich arbeite nun ehrenamtlich mehr im Home Office als sonst (Marita lacht).

Sind Telefonate und Videochats für Dich eine gute Alternative zu persönlichen Treffen?
Ich bin eher der Typ: Ich bin viel und gerne unterwegs, treffe Leute und bin denen auch nah. Eine Umarmung zur Begrüßung und zum Abschied gehört dazu. Und natürlich kuschel ich sonst auch mit meinen Enkelkindern, ich lese ihnen vor und so weiter. Das fällt nun weg und fehlt mir. Ich habe inzwischen schon ein paar Dinge ausprobiert: Zum Beispiel habe ich meinen Enkelkindern und einigen Geflüchteten einige meiner Bohnensamen geschickt, die sie dann eingepflanzt haben. Nun können wir quasi zusammen beobachten, wie sich die Pflanzen entwickeln. Meine Enkelkinder haben auch ein Aufzucht-Set von mir bekommen. Das sind kleine Raupen, die sich nach anderthalb bis zwei Wochen verpuppen. Nach weiteren zwei Wochen schlüpfen Schmetterlinge. Die beobachten wir dann zusammen am Telefon. 

Tolle Ideen!    
Ich mache auch Videos, zum Beispiel wie ich Kuchen backe. Das Video schicke ich meinen Enkelkindern und sie können sich den Kuchen später abholen – ich habe einen Korb, mit dem ich den Kuchen herunterlassen kann. Über die Videos können sich die Kinder dann amüsieren – denn ich bin natürlich kein Profi und bei mir sieht das immer sehr lustig aus. Solche Dinge versuche ich, um in Kontakt zu bleiben. Aber den persönlichen Kontakt kann das alles nicht ersetzen, den vermisse ich sehr. 

Was tut Dir gerade gut?   
Morgens gehe ich als erstes mit meiner Kaffeetasse auf den Balkon. Da ist immer eine Stunde Sonne. Und dann sitze ich da, dick eingemurmelt und lese die Losung für den Tag, sitze in der Sonne und meditiere, bete, wie immer man das nennen will. Das genieße ich ganz doll. Ansonsten telefoniere ich auch viel. Manchmal fällt mir keiner ein – ich denke dann, ah, den hast Du gestern schon angerufen, dann kannst Du heute nicht schon wieder (Marita lacht). Ich freue mich total, wenn sich Leute melden. Auch Leute, mit denen ich schon lange nicht mehr in Kontakt war. Das ist sehr schön. 

Spannend – das heißt, Du sprichst gerade viel mit Menschen, mit denen Du schon länger keinen Kontakt hattest?
Ja, total. Ich habe mit soo vielen Leuten inzwischen geredet, die ich seit 5 oder teilweise 10 Jahren nicht mehr gesprochen habe, die gar nicht hier in Berlin sind oder mit denen man mal irgendwie Differenzen hatte. Und die freuen sich alle so sehr, wenn ich mich melde und wir schreiben uns dann nun auch öfters über WhatsApp. Das ist sehr schön.

Interview: Rieke Lassen, Projektkoordinatorin „Stark im Ehrenamt“ (Flüchtlingskirche)   

Das Projekt „Stark im Ehrenamt“ wird gefördert durch: I:\BACK-UP Stand Anfang April 2020\2020\Offizielles\Offizielle Bescheid Stark im Ehrenamt\Anlage 5a_Logo BfMFI_Office_Farbe_de.bmp

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